Warum es sich bei Wallstreetbets um keinen Hacking-Skandal handelt

Durch die Medien geistert immer wieder die Meldung von Manipulationen, welche die amerikanische Börse gerade in helle Aufregung veretzen, sogar von Hacking ist die Rede. Besonders diese letzte Behauptung ist in Anbetracht der Tatsachen wirklich ärgerlich und könnte nicht ferner von der Wahrheit sein. Der Grund warum wirklich alle Augen auf diesen Skandal gerichtet sind ist, weil es sich zeigt wie weit es mit der Rechtsstaatlichkeit gekommen ist.

Was ist passiert?

Im Mittelpunkt des Skandals steht die Aktie einer Ladenkette für Videospiele namens Gamestop. Auch in Deutschland unterhält die Firma einige Standorte. Da Videospiele heute zu großen Teilen über digitale Vertriebswege verkauft werden, muß man kein Hellseher sein um zu sehen, daß Gamestop allmählich die Geschäftsgrundlage entzogen wird und am Markt kein großer Erfolg mehr beschieden ist. Dies ruft Hedgefonds auf den Plan an den Börsen gigantische Wetten auf in Zukunft fallende Kurse abzuschließen. Eine solche Wette funktioniert technisch – das sei hier der Kürze wegen sehr vereinfacht – indem Aktien zur betreffenden Firma von einer Börse quasi geliehen werden um sie zum gegenwärtigen Preis zu vermarkten. Da auf sinkende Preise spekuliert wird wartet man auf eine Gelegenheit die geliehenen Aktien zu einem günstigeren Preis zurückzukaufen. Die Differenz wird als Gewinn eingesackt. Bei Optionsscheinen besteht ein Fälligkeitsdatum zu dem der Handel abgeschlossen sein muß. So weit so gut.

Wo es nun unmoralisch und geradezu kriminell wird ist, wenn diese Wetten die Zahl der am Markt verfügbaren Aktien übersteigt. Eine solche Short-Position kann dann nicht mehr durch eine Aktie gedeckt werden und dies nennt man dann einen nackten Leerverkauf, welcher infolge der Finanzkrise im Jahr 2008 eigentlich verboten wurde. Der Hedgefond Melvin Capital soll eine solche Position gehalten haben, welche die Zahl der vorhandenen Aktien um 130-140% überstiegen haben soll.
Durch die vielen Wetten auf einen sinkenden Kurs der Gamestop Aktie gerät das Unternehmen natürlich unter gehörigen Druck. Kaum jemand traut der Firma zu auch nur einen Fuß auf die Erde zu bekommen. Am Ende steht für die Firma, die Ladenkette eine Pleite und für alle Mitarbeiter die Arbeitslosigkeit.

Die Reaktion der Kleinanleger

Es ist der Anfang des Jahres 2021. Weltweit leiden die Leute unter einem Monate andauernden Lockdown, für nicht wenige ist die Existenz durch Arbeitslosigkeit und Niedergang der Wirtschaftstätigkeit ziemlich gefährdet. Eine Gruppe von Hobbyanlegern organisiert sich in einer Gruppe auf Reddit namens Wallstreetbets. Ein Mitglied dieser Gruppe analysiert recht treffend das hohe Risiko, dessen sich Melvin Capital durch seine riesige Position ausgesetzt hat. Denn wir erinnern uns, die Position ist potentiell so groß, daß sie durch Aktienkäufe an der Börse nicht gedeckt werden kann.
Man entschließt sich dort gegen das zynische Vorgehen, welche reihenweise Firmen in die Pleite trieb, ein Zeichen zu setzen. Die Leser der, mehrere Millionen Mitglieder zählende, Gruppe verabreden sich entgegen wirtschaftlicher Vernunft die Aktie zu kaufen, koste es was es wolle. Ziel ist nicht so sehr der persönliche Gewinn, denn die meisten Teilnehmer auf Wallstreetbets sind sich durchaus klar eher Geld zu verlieren als welches zu gewinnen, sondern ein Zeichen gegen die einseitige Marktmacht und das dadurch immer größer werdende Ungleichgewicht zwischen institutionalisierten Anlegern und wirklich wertschöpfenden Unternehmen zu setzen.

Die Folgen

Die sogenannten Kleinanleger, nicht nur jene in der Gruppe Wallstreetbets, kaufen immer mehr Gamestop-Aktien mit Geld das im Grunde genommen abgeschrieben werden kann. Der Preis steigt aufgrund der sprunghaft gestiegenen Nachfrage in schwindelerregende Höhen von anfänglich 30-40$ bis auf 340-360$ und ein Ende ist zunächst noch nicht in Sicht. Das Fälligkeitsdatum der durch die Hedgefonds getätigten Abwärtswetten nähert sich oder ist teilweise verstrichen und Melvin Capital ist nun gezwungen zur Erfüllung Aktien zu jedem Preis zu kaufen und verliert so immense Summen. Verluste von 5 Milliarden Dollar wurden vermutet und Melvin Capital soll selbst gar kurz vor der Pleite stehen.

Kleinanleger von den Börsen ausgeschlossen

Einige der bei Endkunden beliebten Broker reagierten auf die tumultartige Entwicklung, indem kurzerhand der Handel der Gamestop-Aktie ausgesetzt wurde. Teilweise war ein Handel damit nicht möglich, in anderen Fällen soll das Kaufen der Aktie nicht möglich gewesen sein, der Verkauf jedoch weiterhin und in wieder anderen Fällen wurden Benutzer zeitweise von der Benutzung der Börse gänzlich ausgeschlossen. Der Verdacht liegt nahe, daß besagte Hedgefonds Einfluß auf Onlinebroker genommen haben, um ihre eigenen Anlagen zu schützen.

Man muß hier noch einmal ganz deutlich sagen: die Verabredung einer Gruppe von Menschen eine bestimmte Aktie zu kaufen konstitiuiert doch keine Marktmanipulation! Eine eindeutige Marktmanipulation dagegen ist der Ausschluß tausender Marktteilnehmer um die Profite eines einzigen institutionellen Anlegers zu schützen. Noch dazu wird hier ein Verhalten riesiger Hedgefonds geschützt, welches seit der letzten Finanzkrise eigentlich verboten sein sollte. Desweiteren wird eine Verfolgung der, potentiell strafbaren Handlung, ausgesetzt und sogar noch gestützt.

Zwischenzeitlich hat sich die Tätigkeit auch auf andere Aktien verlagert, wo man eine ähnliche Situation wähnt wie zuvor mit Gamestop.

Warum das Thema wichtig ist

Der Grund warum das Thema nicht zur Ruhe kommt ist einfach. Es zeigt das Versagen des Marktes, denn es ist kein freier Markt mehr, wenn andere Teilnehmer beschränkt werden um Profite moralisch sehr zweifelhaft handelnder Großanleger zu garantieren. Der langanhaltende Trend, alles Geld in den Händen immer weniger Menschen zu konzentrieren, würde ewig lange fortgesetzt wenn nicht regulatorisch Einhalt geboten wird.
Die sogenannten Kleinanleger und Reddit-Nerds fühlen sich also ermächtigt und bringen Politik und Wirtschaft unter Zugzwang.

Anhänger in allen politischen Richtungen

Wenn eine gesellschaftliche Entwicklung gab, welche in nahezu allen westlichen Ländern zu beklagen war, dann ist es der Riß der mitten durch die Gesellschaft geht und die Angehörigen verschiedener politischer Lager unversöhnlich gegenüber stellt. In den USA haben sich Abgeordnete beider politischen Lager bereits mit den Nerds auf Wallstreetbets solidarisiert. Schließlich kann es nicht im Sinne eines Sozialisten sein der Umverteilung aller Gelder zu den reichsten 1% zuzusehen, genauso wenig kann ein Konservativer die Zerrütung freier Märkte und fairer Chancenverteilung goutieren.

Das Thema Wallstreetbets ist gerade zu dieser Zeit so wichtig, weil ein breiter Konsens besteht derlei zersetzenden Ungerechtigkeiten nicht länger zuzusehen.

Quellen


Update vom 03.02.2021

Wenig überraschend gab es bereits von vielen Seiten, Wirtschaftsjournalisten in den USA oder den Geschäftsführer des NASDAQ Forderungen nach Zensur der relevanten Medien, in denen sich „Kleinanleger“ treffen und ansprechen. Dies nur wenige Tage nachdem bereits der Discord-Server (VoIP-Kommunikation) der Gruppe um Wallstreetbets gesperrt wurde. Ziemlich tiefgreifende und inakzeptable Maßnahmen um die Profite superreicher Institutionen zu sichern. Der Skandal weitet sich aus.

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