Können soziale Medien Wahlen beeinflußen?

Wer Wahlmanipulation meint, wird wahrscheinlich auf die kürzlich vergangenen Präsidentschaftswahlen in den USA anspielen und sorgenvoll auf die kommenden Bundestagswahlen in Deutschland blicken. So hat Merkel angedeutet, daß wenn sie im kommenden Jahr nicht gewinnen sollte, dann möglicherweise eine feindliche Medienkampagne von außen daran Schuld sei. Den letzten Satz habe ich satirisch pointiert, habe ich mich dadurch bereits als Verbreiter von „Fakenews“ qualifiziert? Jedenfalls ist man sich in den Qualitätsmedien auch nicht zu fein, klar erkennbare Strohmannargumente wiederzugeben. Da der journalistische Ehrgeiz zu fehlen scheint, derartiges kritisch zu hinterfragen, sehen sich die etablierten Medien vielleicht nicht zu Unrecht Vorwürfen ausgesetzt Lügen durch „Auslassung“ (lying through omission) Vorschub zu leisten.

Erfolgsgeschichten auf sozialen Medien

Dabei ist es noch gar nicht lange her, als soziale Medien als Werkzeug der Teilhabe und Transparenz gefeiert wurden. So galt beispielsweise der scheidende US-Präsident Obama als jemand, der es meisterhaft verstand mit sozialen Medien umzugehen. In der Presse wurde es niemals als Populismus angesehen, wenn er den direkten Kontakt zu seinen Wählern über die sozialen Medien gesucht hatte – solange sie die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs zu haben glaubten. Denn hier sehe ich den eigentlichen Bruch, der durch die Medien geht.

Wer beherrscht die Narrative heute?

Den sozialen Medien schreibt man zu Obama ermöglicht zu haben, Unterdrückten im arabischen Frühling eine Stimme gegeben zu haben. Der Brexit dagegen soll das Werk von bösen Demagogen und Chatbots gewesen sein. Sie hätten vor dem Wahlgang dafür gesorgt, daß EU-Apologeten durch falsche Nachrichten die Wahl verloren glaubten und zuhause blieben. Hört sich für mich nach Ausflüchten eines schlechten Verlierers an. Die Wahrheit ist, daß das Ergebnis denkbar knapp ausfiel und man eigentlich nie von einem klaren Sieg einer der beiden Seiten sprechen konnte. Das letztendliche Ergebnis spiegelte die in den sozialen Medien veröffentlichte Meinung recht gut wider. Wurde hier nicht Ursache mit Wirkung vertauscht?

Waffengleichheit hergestellt?

Auch bei den jetzigen US-Wahlen muß es beiden Kontrahenten bewusst gewesen sein, seit Obama sollte man in den sozialen Medien nicht fehlen. Dennoch gelang es den Demokraten mit etwa fünfmal so hohem Wahlkampfetat nicht die Deutungshoheit im öffentlichen Diskurs zu erlangen. Das ist umso erstaunlich, als man darüber hinaus auch die herkömmlichen Medien überwiegend hinter sich wissen konnte.

Es ist für mich eher beruhigend festzustellen, daß hier die alte Werberweisheit „mehr hilft mehr“ gebannt ist und nicht mehr alleine die Höhe des Werbeetats ausschlaggebend für Erfolg und Mißerfolg ist. Die Anzahl der Unternehmen, die mit unehrlichen Werbekampagnen auf die Nase gefallen sind, ist Legion.

Wann immer ein „Underdog“ den digitalen Schlagabtausch gewinnt, wird schnell von unlauteren Mitteln gesprochen und Fakenews oder Bots gesprochen. Ist das wirklich so? Ich hab da ernste Zweifel.

Geht von sozialen Medien Gefahr aus?

Mark Zuckerberg hat diese Frage zumindest für Facebook schon einmal klar verneint. Die überwiegende Zahl der Kommentare sei authentisch und man sei auch nicht gewillt Benutzern für deren Meinung über den Mund zu fahren. Ganz im Gegenteil wurde sogar offen darüber diskutiert für Clinton Partei zu ergreifen. Sollte eine Partei, welche auch immer, zu der Ansicht kommen soziale Medien direkt manipulieren zu können, beispielsweise durch Eingriff in Algorithmen zur Sichtbarkeit von Beiträgen oder der in vielen Ländern geforderten unrechtlichen Zensur, das wäre in der Tat eine Gefahr, die allerdings eigentlich nur durch staatliche Akteure ausgeübt werden kann. Und Facebook könnte in Zukunft durchaus dazu gezwungen werden.Welche Mittel gäbe es denn noch? Zum Beispiel die Folgenden.

Chatbots

Automatisierte Konten in den sozialen Medien könnten dazu genutzt werden bestehende Meinungen weiter zu verbreiten (durch Retweets z.b.) und die Sichtbarkeit zu erhöhen. Inhaltlich hat jedoch noch kein Chatbot irgendetwas Verwertbares zu einer Diskussion beigetragen. Ja, es gibt künstliche Intelligenz, die möglichst überzeugend den Eindruck eines normalen Gesprächs erzeugen soll. Bisher hat aber noch kein Bot jemanden dazu überreden können, anders zu wählen. Seelenlos dahergebrabbelte Floskeln irgendwelcher Bots ist genau das, was junge Leute herauszufiltern lernen, genau wie Werbebotschaften die im öffentlichen Raum soviel Platz einnehmen, daß sie für gewöhnlich von ihnen bewußt ausgeblendet werden. Darüber hinaus bewegen sich angeblich die meisten in einer…

Filterblase

Eine Auswahl an Angeboten, Kanälen oder Informationsanbietern, denen man folgt und daher regelmäßig Neuigkeiten von ihnen in einer „Timeline“ angezeigt bekommt. Ja, die Filterblase ist real und bei dem Informatonsüberfluß im Netz nicht mehr wegzudenken.

Für Filterblasen im Netz dürfte dasselbe gelten wie in der Forschung von sozialen Milieus. Ein Milieu ist eine soziale Gruppe, in welcher die Teilnehmer verstärkt miteinander in Kontakt treten. Sie wirken aufeinander, bestärken sich gegenseitig in ihrer Meinung und haben daher ähnliche Meinungen und Vorlieben. Dies ist kein neues Konzept, sondern Teil der Sozialforschung seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Die Umschlagsgeschwindigkeit der gegenseitigen Beeinflussung nimmt durch das Internet und die sozialen Medien allerdings extrem zu.

Man muß sich im öffentlichen Diskurs also schon entscheiden, entweder Leute leben in einer Filterblase, erfahren recht wenig von anderen Meinungen, sind dafür aber unempfänglich für Propaganda. Oder sie informieren sich umfassend auf einem Marktplatz der Ideen und Meinungen. Daran kann ich per se nichts Schlechtes erkennen. Beides wird als schlecht bewertet, wenn es einer bestimmten Meinung nicht entspricht.

Fazit

Jeder nutzt die sozialen Medien, aber nur die Verlierer regen sich darüber auf. Wer ist der Verlierer? Es sind etablierte Medien: das Fernsehen und Zeitungen, die feststellen müssen, daß ihr Publikum jeden Tag kleiner wird und die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit des öffentlichen Diskurses sich sehr auf neue Medien im Internet verschoben hat. Dort wird mit anderen Mitteln geworben und „gekämpft“, ich halte das nicht für verwerflich.

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