Warum Multitasking bei Menschen nicht funktioniert

Wer bei einem Vorstellungsgespräch mit eindrucksvollen Softskills punkten möchte und eine Fähigkeit zum Multitasking behauptet, sollte es sich nach folgender Lektüre noch einmal gründlich überlegen.

Beschleunigung der Informationsströme

Die moderne Gesellschaft und insbesondere die Digitalisierung brachte es mit sich, daß Informationsströme sich stets beschleunigten, bisweilen gleichzeitig um die Aufmerksamkeit des Benutzers buhlen. Die Informationsverarbeitung stellt heutzutage sehr hohe Anforderungen an die geistigen Kapazitäten von uns Menschen um mehrere Informationsstränge gleichzeitig zu verfolgen und als modern und leistungsorientiert kann heute wohl derjenige gelten, der mit diesen Strömen gekonnt zu jonglieren weiß.

Intelligenz ergibt sich aus Konzentration, nicht aus Eile

Ganz im Gegensatz zu heute betrachtete man noch im 18. Jahrhundert die ungeteilte Konzentrationsfähigkeit als ein Merkmal überlegener Intelligenz.

Es bleibt im Laufe eines Tages genug Zeit um eine Sache nach der Anderen zu erledigen, aber es gibt nie genug Zeit zwei Dinge gleichzeitig zu tun.

[…] Eile, Hetze und Unruhe sind dagegen untrügliche Zeichen eines schwachen und leichtfertigen Geistes.

Unruhe und Eile sind heute jedoch zentrale Merkmale unserer täglichen Informationsverarbeitung, deshalb wurde als Kernkompetenz die Fähigkeit zu „Multitasking“ postuliert. Inwiefern eine solche Fähigkeit für das menschliche Gehirn überhaupt behauptet werden kann, sehen wir im Folgenden.

Beeinträchtigte Intelligenz durch Konzentrationsabbruch

Im Jahr 2005 führte die Firma Hewlett & Packard eine Studie mit Unterstützung der psychiatrischen Fakultät der Universität London durch. Das Ergebnis lässt darauf schließen, daß die ständige Aufteilung unserer Aufmerksamkeit ernste Einbußen in der Produktivität der untersuchten Angestellten mit sich brachte. Arbeiter die mehrmals täglich durch E-mails, Telefonanrufe, elektronische Nachrichten unterbrochen werden, leiden demnach temporär unter einem erheblich eingeschränktem Intelligenzquotienten und benötigten eine knappe halbe Stunde um die unterbrochene Aufgabe wieder aufzunehmen. Die Auswirkungen sind laut Dr. Edward Hallowell durchaus vergleichbar mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und dieses sei überall in der Arbeitswelt auf dem Vormarsch.

Mit Hilfe moderner Bildgebungsverfahren wie fMRI können Hirnströme bei der Verrichtung multipler Aufgaben beobachtet werden. Wenn das Gehirn gezwungen wird die Konzentration zu brechen und sich in schneller Folge mit mehreren Reizen zu beschäftigen ereignet sich sozusagen ein Flaschenhals bei der Verarbeitung der Reize. Für schnelle die schnelle Reaktion, etwa auf Gefahrenquellen, ist eher unsere Intuition zuständig, für die intellektuelle Beschäftigung mit einer Aufgabe benötigt das Gehirn jedoch eine gewisse Zeit um sich einzurichten. Durch das Verfolgen mehrere Informationsströme geht die Fähigkeit zur geistiger Tiefe verloren, kreative Rechenzeit geht verloren. Ebenfalls beeinträchtigt ist die Lernfähigkeit, auch deswegen, weil bei Ablenkungen andere Hirnregionen aktiviert werden als jene, die zur langfristigen Speicherung von Wissen notwendig sind. Es ist daher wenig verwunderlich, daß Kinder und Jugendliche die gleichzeitig Instant Messages schreiben, online Videos schauen, Musik hören oder Fernsehen schauen während sie eigentlich lernen sollten in puncto Schulerfolg deutlich zurückfallen dürften.

Aufmerksamkeit als höchstes Gut des vernetzten Menschen

Es sollte uns einfach bewusst werden, gerade auch weil wir die Vorzüge der allgegenwärtigen Vernetzung genießen und Wissen stets vor unseren Fingerspitzen abrufbar ist, daß unsere Aufmerksamkeit im Informationszeitalter das höchste Gut ist. Womit wir uns ernsthaft und ausdauernd beschäftigen macht einen Großteil dessen aus was wir sind, was wir werden und ob wir bei der Arbeit (besonders intellektueller Art) Erfolge erzwingen können. Dazu ist es vielleicht notwendig sich eine Art beabsichtigte Unaufmerksamkeit anzutrainieren.

Tipp zur Umsetzung am Arbeitsplatz

Wer sich seine Arbeit halbwegs selbst einteilen darf möge vielleicht darüber nachdenken Telefonanrufe, E-mails und Anfragen nur noch einen bestimmten Teil des Arbeitstages einzuräumen. Oft kann es helfen neue Informationen und Anfragen nur bis zur Mittagspause anzunehmen, um die zweite Hälfte des Arbeitstags ausschließlich der ungestörten Bearbeitung anstehender Aufgaben zu widmen.

Steigerung der Lernfähigkeit bei Kindern

Auch im digitalen Zeitalter gilt nach wie vor, daß die Anzahl der vorhandenen Bücher in einem Haushalt mit dem Bildungserfolg der Kinder korreliert. Selbst das Lesen reiner Unterhaltungsliteratur regt durch das Auslassen visueller und auditiver Reize jene Hirnregionen an, die Konzentration und Lernfähigkeit fördern.

Zum Weiterlesen:

Rosen, Christine. 2008. „The myth of multitasking“. The New Atlantis 20(Spring):105–10.

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