Warum ich kaum noch Telefonanrufe annehme

Zunächst möchte ich alle meine Bekannten, die dies lesen sowie alle anderen die mich erreichen möchten, beruhigen. Es wird auch weiterhin möglich sein mich telefonisch zu erreichen. Dennoch spielen Telefongespräche für mich – ich vermute auch für viele andere – im Alltag keine große Rolle mehr. Warum ist das so?

Telefonnummern sind veraltete Technologie

Personen anhand von arbiträren Nummern zu identifizieren ist heutzutage absolut nicht mehr notwendig. Die Benutzererfahrung dabei ist nicht mehr zeitgemäß. Die meisten modernen Kommunikationswege (wie soziale Netzwerke) erlauben es den Benutzer anhand des Namens, sowie bestimmter Merkmale ausfindig zu machen (z.b. Wohnort, Firma etc.). Desweiteren ermöglichen solche Systeme die sofortige Kontaktaufnahme mit einem einfachen Klick. Selbst andere, bereits betagtere Dienste, wie beispielsweise Skype, verwenden einfache und einprägsame Benutzernamen anstelle beliebiger Zahlenkombinationen. Es ist eine schreckliche Nutzererfahrung, zur Kontaktaufnahme weiterhin kryptische Nummern in ein Gerät eingeben zu müssen.

Habt ihr Bekannte, die oft neue Mobilfunkverträge abschließen, mehrere Geräte benutzen und damit oft unter unterschiedlichen Nummern zu erreichen sind? Nun, ich kenne ein paar solche Zeitgenossen. Einmal eine Telefonnummer eingespeichert ist bereits in vergleichsweise kurzen Zeitabläufen, etwa nach einem halben Jahr, nicht mehr möglich zu sagen ob dort noch jemand zu erreichen ist. Auch hinterlassene Nachrichten auf einem Anrufbeantworter oder Voicemail kommen dann nicht mehr ans Ziel. Regelmäßig muß man bereits heute Drittdienste heranzuziehen, wie Profile im Netz, um sagen zu können welche Person heute welche Nummer benutzt.

Vermutlich könnte man auf eine Telefonnummer auch komplett verzichten, würden Telekommunikationsanbieter ihre Kunden nicht dazu zwingen es im Bündel mit den eigentlich ersehnten Leistungen abzunehmen. Ich gehe davon aus, daß die meisten Benutzer für eine Telefonnummer nicht extra bezahlen würden, wenn es SIM-Karten mit reiner Datenflatrate ohne Telefonnummer gäbe. Der größere Teil der Gespräche würde ohnehin über internetgestützte Kommunikation oder VOIP stattfinden.

Keine Gebundenheit an bestimmte Geräte

Cloud- und Synchronisationsdienste haben uns darauf konditioniert, daß unsere Informationen ständig mit uns im Fluß und synchron sind. Daher können wir auch erwarten jederzeit darauf zugreifen zu können und es ist dabei eigentlich naheliegend, daß unsere Daten nicht an ein bestimmtes Gerät gebunden sein sollten. Der Normalfall sollte heute sein, daß man an jedem beliebigen Gerät seine Anmeldedaten preisgibt und dadurch vollständigen Zugang auf seine persönlichen Informationsverlauf erhält, ganz gleich ob es sich dabei um einen Laptop, ein Smartphone, Tablet oder Smartwatch handelt. Die meisten modernen und offenen Dienste ermöglichen dies, außer Telefonnummern.

Aus diesem Grund ist es eigentlich unverständlich, weshalb gerade beliebte Dienste wie Whatsapp eine Bindung an vorhandene Telefonnummern voraussetzen und damit aktiv die Verwendung an mehreren Geräten verhindern. Natürlich kann man es verstehen, wenn das Motiv hinter einer solchen Designentscheidung nicht in erster Linie die Nützlichkeit für den Benutzer ist, das nur am Rande.

SMS ist mausetot

Würden die benutzerstärksten Chatdienste es verstehen einigende Standards zu nutzen, wie XMPP für Chats oder E-mails es sind, dann gäbe es heute keinen einzigen Grund mehr diese äußerst veraltete und dazu maßlos überteuerte Technologie zu nutzen. Ja, auch die E-mail ist ein schon oft totgesagtes Mittel. Aber was die E-mail mit der SMS gemein hat ist, daß es sich eben um föderierte Standards handelt. Genau wie bei einer SMS kann man per E-mail potentiell jeden Benutzer erreichen, egal ob Sender und Empfänger bei unterschiedlichen Anbietern sind oder nicht. Ganz im Gegensatz zu den allseits bekannten Chatdiensten wie Whatsapp, Skype, Hangouts und wie sie alle heißen.
Per E-mail ist es aber, im Gegensatz zu SMS, sogar möglich nicht nur 140 Zeichen sondern mehrere Megabyte große Nachrichtentexte inklusive eingebetteter Medien zu erhalten. Ist das nicht grandios? Da die meisten Geräte ohnehin meistens mit dem Internet verbunden sind, hat die SMS ihre Nützlichkeit verwirkt. Diese kann man mittels bestimmter Dienste auch direkt an sein E-mailpostfach weiterleiten lassen, sollte man auf eine Empfangsmöglichkeit nicht völlig verzichten wollen.

Telefonanrufe passen nicht mehr zu unserem Lebensstil

Man könnte sich lange darüber unterhalten, ob die Verdichtung an Arbeit und Aktivität in unserem Leben nun zu begrüßen ist oder nicht. Realität ist jedoch für mich, wie für viele andere, daß Telefonanrufe meistens völlig ungelegen kommen und man es aus Gründen der Etiquette oder sogar der persönlichen Sicherheit es eigentlich vermeiden sollte, Anrufe anzunehmen.

So ist beispielsweise experimentell nachgewiesen, daß Anrufe bei der Arbeit extrem ablenken und man durchschnittlich 20 Minuten benötigt, ehe man den Faden der gerade unterbrochenen Tätigkeit wieder aufnehmen kann. Klingelt alle halbe Stunde das Telefon, was bei weitem nicht viel oder gar abwegig ist, so ist ein ergebnisorientiertes Arbeiten eigentlich nicht länger möglich. Hier wäre es angebracht von vornherein ein bestimmtes Zeitfenster für Gespräche zu bestimmen.

Dies ist dann auch der Grund warum ich eigentlich ungerne unangekündigte Telefonate annehme, obwohl ich mich natürlich gerne mit geliebten Menschen unterhalte. Sei es, daß man sich auf eine Arbeit konzentriert, in einer Besprechung sitzt, im Theater, beim Schwimmen, Radfahren, Autofahren oder sich einfach gerade in Gesellschaft befindet und echte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht genießt – Telefonanrufe sind zu 95% ungelegen und lästig. Angekündigte Gespräche dagegen führt man dann gerne auch per Videotelefonie. Dabei hilft die altbackene Telefonnummer jedoch auch nicht mehr.

Telefonate sind nicht schnell

Eben mal kurz jemanden anrufen um ein Problem zu lösen oder eine Frage zu stellen? Mit der zunehmenden Verdichtung des täglich auf uns einprasselnden Informationsstroms sind Telefonate alles andere als schnell erledigt. Denkt nur mal daran, wie lange Ihr bei einem Anbieter in einer Hotline festhängt um eine simple Auskunft zu erhalten. Einfach eine E-mail schreiben oder schriftlich ein Supportticket eröffnen, dann kann der Empfänger selbst entscheiden wann es günstig ist zu antworten und Ihr könnt euch binnen weniger Minuten einer anderen Sache zuwenden.

Besonders bei der Arbeit macht es sich bemerkbar, daß Telefonate gelegentlich noch nützlich sind, wenn man eigentlich den Ausgang und Ziel des Gesprächs noch nicht wirklich kennt. Solche Gespräche dauern dann schnell über eine halbe Stunde und mehr. In derselben Zeit könnte man etliche E-mails schreiben und lässt den Empfängern ihrerseits genug Zeit um gut überlegt zu antworten. Ein Gewinn für beide Seiten.

Macht den Selbsttest

Sicherlich gibt es noch Quasselstrippen da draußen, die sich während Zugfahrten die Zeit mit stundenlangen Gesprächen vertreiben. Da frage ich mich manchmal, welcher Gesprächspartner da am anderen Ende der Leitung es auf sich nimmt und anscheinend gerade nichts besseres zu tun hat, als stundenlang über Belanglosigkeiten zu sprechen.

Schaut doch mal zur Probe in den Energieverbrauch eures Smartphones. Wieviel Zeit und Energie verwendet euer Gerät denn tatsächlich noch für gewöhnliche Telefongespräche? Ich vermute, daß da bei vielen ein Wert unterhalb von 5% rauskommt?

Wie seht Ihr das? Kann man die Telefonnummer zum alten Eisen geben oder bleibt diese unersetzlich?

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