In einem Sammelband „Armee im Aufbruch“ sollten Studenten der Bundeswehr die Gedankenwelt des Militärs, insbesondere auch im Verhältnis zur Zivilgesellschaft ergründen. Das Ergebnis: ziemlich viel Ich-Perspektive, wenig Selbstreflexion, dafür viel Ratlosigkeit gegenüber dem andauernden Liebesentzug und Mangel an Respekt, den die vermaledeite Zivilgesellschaft für Ihre Landsleute in Uniform übrig hat.
Identifikationskern Kampfeinsatz – viel Feind, viel Ehr?
Grund für den „Aufbruch“ und eine Zäsur im Selbstverständnis der Bundeswehr, das wird auch in diesem Band immer wieder betont, ist wenig überraschend der Auslandseinsatz in Afghanistan. Dort wurde die Bundeswehr häufig in Scharmützel und Gefechte verwickelt und muß nun beträchtliche menschliche Verluste beklagen. Auf der anderen Seite führte die Anordnung eines Luftschlags gegen einen afghanischen Tanklastzug, der Luftangriff bei Kundus, direkt zu 142 Toten denen eine feindliche Absicht in Nachhinein offenbar nicht unterstellt werden kann. Der Nimbus eines Auslandseinsatzes zu rein humanitären Zwecken ist erloschen und eingedenk dessen sollten auch die Obersten unseres Militärs einfach zur Kenntnis nehmen, daß die Grundlage ihres kriegerischen Tuns gelinde gesagt diskussionswürdig ist. Ich würde insofern zustimmen, daß diese Diskussion hauptsächlich außerhalb des Militärapparats geführt werden muß aber ein Beitrag aus dessen Richtung fehlt auch nach „Armee im Aufbruch“ trotzdem völlig.
Die kriegerische Auseinandersetzung nennt einer der Mitautoren des Sammelbandes „Feuertaufe“. Nicht zu Unrecht, da man sich anscheinend als weitgehend machtlos dastehender Bundesbürger auf weitere Einsätze dieser Art wohl oder übel einstellen muß. Soldaten müssen es natürlich noch viel mehr, da deren Leben unmittelbar auf dem Spiel steht und die Überlebensstrategie in „Armee im Aufbruch“ lautet: Zähne zusammenbeißen, Professionalisierung, Rückbesinnung auf alte Tugenden und dadurch Abgrenzung von der Dekadenz und Hedonismus der Gesellschaft. Diese Art Trotz ist irgendwo verständlich, denn wer ernsthafte Zweifel an der Legitimation von Auslandseinsätzen hätte, der wäre wohl kaum noch bei der Bundeswehr um so zu schreiben. Wer noch dort ist, der will es so und ist für das eigene Leid, wie auch für das der Anderen, verantwortlich.
Wer will noch das Opfer am Hindukusch?
Persönlich kann ich es überhaupt nicht leiden, wenn der Gesellschaft Opfer aufgedrängt werden sollen, die sie weder gefordert noch verursacht hat und dafür ein Respekt abgenötigt werden soll. Wer sich die Liste vergangener Konflikte ansieht: Jugoslawien, Irak, Libyen, Afghanistan, der wird unschwer feststellen, daß diese Einsätze nicht mehr auf Zustimmung einer Bevölkerungsmehrheit trifft. Der Einmarsch geschieht meist unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und das Kriegshandwerk verdient keinen Respekt wenn es aus falsch verstandener Bündnisverpflichtung immer mehr den Boden des grundgesetzlichen und gesellschaftlichen Auftrags verlässt. Meines Erachtens ist es einer Mehrheit auch nicht vermittelbar, den grundgesetzlichen „Verteidigungsfall“ so weit auszudehnen, daß deutsche Soldaten deswegen am Hindukusch stehen müssten.
Man kann von Bürgern deswegen nicht verlangen, über all das hinwegzusehen und seine Landsleute in Uniform anzufeuern als ob es sich um eine Fußballmannschaft handele.
Das Heldenimage ist angekratzt – auch das von Chris Kyle
Interessanterweise wird in den USA eine ähnliche Diskussion geführt im Zusammenhang mit dem oscar-prämierten Film „American Sniper“. Die Frage ist, ob ein Scharfschütze mit 160 getöteten Menschen auf dem Kerbholz in der Gesellschaft denn noch ungestraft als „Held“ bezeichnet werden darf und welchen Beitrag diese Toten denn wirklich zur Verteidigung der „Freiheit“ beigetragen haben. Man darf dankbar sein, daß diese Diskussion in jenem Land angekommen ist, von dem die meisten Kriege ausgehen (beachtliche 190 Stück seit 1776). Der Scharfschütze „Chris Kyle“ ist mit Sicherheit genau das Idealbild, das die Bundeswehr laut „Armee im Aufbruch“ anstrebt: durch und durch professionalisiert, keine Zweifel oder Gewissensbisse die im entscheidenden Moment den Finger am Abzug lähmen.
Besonders interessant an der Person Kyle ist was in dem Film verschwiegen wird. Durch zahlreiche Lügengeschichten versuchte er immer wieder sein Image aufzubessern. So erzählte er zum Beispiel, er habe nach dem zerstörerischen Hurrikan „Katrina“ auf einem Dach in New Orleans gesessen und von dort aus Plünderer erschossen. Das war sein heimlicher Wunsch: ein Beschützer und wenigstens ein einziges mal sicher zu sein, daß er nur die Richtigen trifft.
Weiterführende Links:
- Politik im Spiegel – Mentale Revolution. Nachwuchsoffiziere fordern Rückbesinnung auf “zeitlose soldatische Tugenden”
- Matthias Küntzel – Welche Schuld hat Deutschland am Jugoslawienkrieg